Von Billigheimern zu Bestsellern
Die erstaunliche Entwicklung der südkoreanischen Automarke Kia
Als 1944 in Südkorea das Unternehmen Kia gegründet wurde, ahnte wohl keiner, welchen hochinteressanten Weg der damalige Hersteller von Fahrrädern nehmen würde. Anfang der 1960er-Jahre brachten die Südkoreaner Motorräder, einen dreirädrigen Minilaster und etwas später den vierrädrigen Lkw Kia Titan in den Handel. Und im Jahre 1974 lief der erste Kia-Pkw, der Brisa, vom Band – an Bord der erste von Kia selbst entwickelte Ottomotor.
Zwei Jahre später begann Kia mit dem Bau des ersten eigenen Dieselmotors, der aber zunächst vor allem den Nutzfahrzeugen vorbehalten war. Erst Mitte der 1980er-Jahre begann der Hersteller, sich stärker dem Bau von Pkws zuzuwenden. Topseller dieser Ära wurde mit mehr als zwei Millionen verkauften Einheiten der Kleinwagen Kia Pride, der es auch bis auf die europäischen Märkte schaffte.
1993 ist die Kia Motors Deutschland gegründet worden. Das war der Beginn einer Erfolgsstory. Aber es war ein schwerer Start. Die Fahrzeuge konnten im Vergleich zur Konkurrenz in punkto Design, Qualität und Technik zunächst nicht mithalten. Wichtiger Kaufgrund für einen Kia war zumeist der Preis. Im Jahre 1998 geriet Kia wegen der asiatischen Finanzkrise auch noch unter Insolvenzverwaltung, und die Hyundai Group übernahm das angeschlagene Unternehmen.
Schon 1999 schrieb Kia wieder schwarze Zahlen. Von da an ging es mit der kleinen Hyundai-Schwester nur noch in eine Richtung: bergauf. Innerhalb relativ weniger Jahre hat sich der koreanische Billiganbieter in Deutschland zu einem ernsthaften Konkurrenten für die Volumenmarken Ford und Opel, vor allem aber für die japanischen und französischen Importmarken entwickelt.
Der richtige Erfolg von Kia begann in Deutschland 2002 mit der Einführung des Geländegängers Sorento, der im Vergleich zum Wettbewerb mit einem besonders sparsamen Flüsterdiesel aufwarten konnte. Heute ist bereits die vierte Generation des Sorento auf dem Markt, der sich vom Geländewagen zum komfortablen SUV entwickelt hat. Und dank der gekonnten Strichführung des hoch dekorierten deutschen Designers Peter Schreyer, der ehemals die chicen Audis und auch den VW Golf kreierte und seit 2013 das Designbüro von Hyundai und Kia leitet, ist dieses Fahrzeug jetzt ein echter Konkurrent in der Premiumklasse.
Neben vielen technischen Raffinessen bietet das Kia-Flaggschiff ein wichtiges Novum: Ein ganz raffinierter Totwinkel-Assistent mit Monitoranzeige gibt dem Fahrer direkten Einblick in die toten Winkel links und rechts hinter dem Fahrzeug. Das kann Leben retten, insbesondere von Fußgängern und Radfahrern an Ampelkreuzungen.
Und Kia bietet heute eine so breite Modellpalette – vom Kleinwagen und Kompaktwagen über Limousinen und Kombis bis SUV’s und Sportwagen – mit modernster Technik und immer besserer Qualität der Produkte bei einer nach wie vor sehr fairen Preisgestaltung an. Schneller als alle Europäer und ohne große Bühne hat der südkoreanische Hersteller 2019 mit dem e-Soul ein Fahrzeug auf den Markt gebracht, an dem andere, auch VW, zu dieser Zeit noch feilten. Diesen neuen Soul gibt es in Europa ausschließlich mit elektrischem Antrieb zu kaufen.
Kleinster der Palette ist der Kia Picanto. Der kleine praktische Fünftürer ist nur 3,60 Meter lang, verfügt jedoch über einen Radstand von 2,40 Metern – damit bietet er überraschend viel Platz im Innenraum, vor allem auch recht ordentliche Bein- und Kopffreiheit im Fond. Immerhin 255 Liter fasst der Gepäckraum des Picanto. In der Ausstattung X-line fährt der kompakte und wendige Stadtflitzer sogar mit sportlichem und ausdrucksstarkem SUV-Design und einer höheren Sitzposition vor.
Nächster im Bunde ist der Kia Rio, dessen Outfit im vergangenen Jahr aufgefrischt wurde. So ist er vor allem am schmaleren Kühlergrill sowie neuen Stoßfängern und Nebelscheinwerfern zu erkennen. Erweitert wurde dabei auch die Palette der Fahrerassistenten. Die City-Notbremse erkennt neben Fußgängern nun auch Radfahrer. Neu ist die Verkehrszeichenerkennung. Für das Topmodell mit Doppelkupplungsgetriebe stehen jetzt ein adaptiver Tempomat, der Spurwechselassistent und der Querverkehrswarner zur Wahl.
Für einen Kleinwagen fällt der Rio recht geräumig aus, auch im Fond. Die Sitze für Fahrer und Beifahrer sind komfortabel und bieten guten Seitenhalt. In den Gepäckraum passen ordentliche 325 Liter. Sind die Rücksitzlehnen umgeklappt, stehen maximal 1103 Liter zur Verfügung.
Auch für die Motorenpalette gab es ein Update. Das Topaggregat, der Dreizylinder-Benziner 1.0 T-GDI 120, leistet wie bisher 120 PS, doch legte das maximale Drehmoment von 172 Newtonmeter auf 200 Nm zu. Dadurch verfügt er über spürbar mehr Durchzugskraft. Aber auch mit dem Basistriebwerk, dem 1.0 T-GDI 100 mit Sechsgang-Schaltgetriebe, ist der Fünftürer vollkommen ausreichend motorisiert. Der reale Verbrauch lag im Kurztest bei akzeptablen fünf Litern Kraftstoff auf 100 Kilometern.
Die umfangreichste Kia-Modellfamilie basiert auf dem kompakten Ceed, dessen aktuelle Generation seit 2018 in Europa auf dem Markt ist. Es ist eine Bestseller-Baureihe: Etwa jeder dritte verkaufte Kia ist ein Ceed, der als Limousine, als sportlicher Kombi Ceed Sportswagon, als Crossover X-Ceed und als besonders sportlicher ProCeed angeboten wird. Um den Erfolg zu sichern, hat Kia die Baureihe aufgefrischt. Im neu gestalteten Kühlergrill prangt das neue chice Logo. Ausstattungsabhängig sind die Ceed-Modelle mit Voll-LED-Scheinwerfern ausgerüstet. Neben Fern- und Abblendlicht strahlen auch Nebelscheinwerfer und Tagfahrlicht mit LED.
Mit dem ProCeed hat Kia einen Design-Kombi in der Kompaktklasse auf die Räder gestellt. War der ProCeed-Vorgänger ein sportlich gestylter Dreitürer, avanciert das aktuelle Modell zu einem Wettbewerber im Segment der Kombi-Coupés – zum Shooting Brake. Elegante fließende Linien dominieren den Viertürer mit Heckklappe, der alles andere als ein Transporter sein will.
Dennoch: Der Gepäckraum fasst bis zu 1545 Liter. Und das vermutet man nicht, angesichts der maximalen Fahrzeug-Höhe von 1,42 Metern und dem zum Heck deutlich abfallenden Dach. Die gewählte Form hat nur einen kleinen Nachteil: Das Heckfenster ist zu schmal geraten, um einen ordentlichen Rück-Blick zu gewähren. Doch dafür ist eine Rückfahrkamera an Bord. Die Ladekante ist angenehm niedrig, und Schienenelemente, ein Gepäcknetz sowie Ablagefächer erleichtern das sichere Beladen des Hecks. Schönheit und Praktikabilität schließen sich also nicht aus.
Angetrieben wird das Topmodell von einem 150 kW/204 PS starken 1,6-Liter-GDI-Benziner, der mit einem Siebenstufen-Doppelkupplungsgetriebe kombiniert ist. 265 Nm Drehmoment sorgen bereits ab 1500 U/min für kräftigen Vorschub. So schafft das Fahrzeug den Beschleunigungslauf aus dem Stand auf Tempo 100 in 7,5 Sekunden und eine Spitze von 225 km/h. Den Normverbrauch gibt Kia mit kombinierten 6,5 l/100 km an. In der Realität läuft auf dieser Strecke reichlich ein Liter mehr durch.
Besonderes Potential besitzt, dem Käufertrend entsprechend, der X-Ceed. Wer meint, er sei nur ein abgewandelter Ceed, der täuscht sich. Die Karosserie wurde fast vollständig neu entwickelt. Lediglich der Radstand beträgt wie beim Fünftürer 2,65 Meter. Ansonsten ist der XCeed mit 4,40 Meter Länge dank größerer Überhänge, 1,83 Meter Breite und 1,48 Meter Höhe – dank der Höherlegung der Karosserie – im Vergleich zum Ceed deutlich gewachsen. Erstmals ist der Koreaner jetzt auch in der dynamischen GT-Line-Ausführung zu haben. Am Heck fallen ein neuer Diffusor sowie neue Auspuffblenden auf. Optional gibt es neue 18-Zoll-Felgen und zwölf Farbtöne zur Wahl.
Fünf Motoren – drei Turbo-Benziner, ein Diesel und ein Plug-in-Hybrid stehen für den Wagen zur Verfügung. Unter der Haube der Hybrid-Version arbeitet ein 1,6-Liter-Benzindirekteinspritzer mit einer Leistung von 77 kW/105 PS. Er ist kombiniert mit einem 44,5 kW/90 PS-Elektromotor und einem 8,9-kWh-Akku sowie einem Sechsstufen-Doppelkupplungsgetriebe. Damit bringt er eine rein elektrische Reichweite von bis zu 58 Kilometern. Im Praxistest waren es reichlich 50 Kilometer – völlig ausreichend für die meisten Stadtfahrten.
Ein ebenfalls kompaktes SUV ist der Kia Niro – ein relativ neues Modell, das seit 2017 auf dem Markt und etwas größer als der Soul ist. In diesem Jahr hat Kia den Niro neu aufgelegt und ihm mehr Ecken und Kanten sowie einen neu und moderner gestalteten Innenraum verschafft. Der neue Niro hat in allen Dimensionen etwas zugelegt, auch beim Radstand.
Angeboten wird das Fahrzeug weiterhin als Hybrid, als Plug-in-Hybrid (PHEV) und als vollelektrische Version EV. Wer im städtischen Bereich elektrisch fahren, aber auch genug Reichweite für eine Urlaubsfahrt haben will – ohne gleich zwei verschiedene Fahrzeuge zu kaufen –, dem sei der Plug-in-Hybrid empfohlen. Sein Gepäckraum ist mit 348 Litern zwar kleiner als die Stauräume der beiden anderen Versionen. Aber man kann sich ja auch eine Dachbox zulegen.
Als Verbrenner nutzen beide Hybrid-Modelle einen 1,6 Liter großen Benziner mit einer Leistung von 77 kW/105 PS. Der Elektromotor der PHEV-Version leistet 62 kW/84 PS. Die Kraft überträgt ein Sechsgang-Doppelkupplungsgetriebe an die Vorderräder. Die rein elektrische Reichweite liegt bei 65 Kilometern. Das Fahrzeug verfügt über einen „Greenzone“-Fahrmodus, der den Antrieb – abhängig vom Ladezustand der Batterie – in den rein elektrischen Betrieb schaltet, beispielsweise vor Schulen oder Krankenhäusern. Der Niro erkennt diese Zonen anhand von Navigations-Fahrdaten. Der Arbeitsplatz des Fahrers wird vom digitalen Cockpit mit 10,25-Zoll-Display, dem mittig installierten Touchscreen und dem neuen Lenkrad dominiert. Statt eines Wählhebels lässt sich die Automatik per Drehregler bedienen. Zur wirklichen Unterstützung des Fahrers sind die navigationsbasierte Geschwindigkeitsregelanlage mit Stop-and-go-Funktion, der intelligente Geschwindigkeitsassistent und der automatische Parkassistent an Bord.
Ein besonderer Crossover ist der EV6 – das erste Kia-Elektroauto auf der neuen Plattform E-GMP (Electric-Global Modular Platform). Diese Plattform ist flexibel skalierbar und für Plug-in-Hybrid-, Wasserstoff- sowie reinen Batterie-Antrieb ausgelegt. Der Basis-Akku, nur für den Heckantrieb verfügbar, bringt 58,0 kWh. Der große Akku hält 77,4 kWh bereit. Doch das ist nocht nicht das Ende der Fahnenstange: Als EV6 GT gibt es eine Performance-Version mit Allradantrieb, der großen Batterie und einer Leistung von 430 kW/585 PS. Er stellt mit seinen beiden E-Motoren ein maximales Drehmoment von 740 Nm bereit und sprintet in 3,5 Sekunden von Null auf 100 km/h. Die Spitze wird bei 260 km/h erreicht.
Der kleine 58-kWh-Akku kommt auf 394 km maximale Reichweite nach WLTP. Die Reichweite des 2WD-Modells mit 77,4-kWh-Akku wurde nun im Rahmen der ECE-Homologation ermittelt. Aus den bisher genannten "über 510 km" sind offiziell 528 Kilometer Reichweite im kombinierten Zyklus nach WLTP ermittelt worden. Die Reichweite im City-Modus beträgt 740 Kilometer nach WLTP. Die Allrad-Version kommt mit der großen Batterie auf 506 Kilometer. In rund einer Viertelstunde soll der EV6 per Schnelllader zu 80 Prozent aufladbar sein.
Das Outfit des sportlichen Crossover wird von einer stark gewölbter Fronthaube, dem coupéhaften Dachverlauf und einem markanten Heck geprägt. Hingucker sind hier die aerodynamisch optimierten Leichtmetallfelgen sowie die scheinbar durchbrochene C-Säule, wodurch das Dach zu schweben scheint. Die untere Fensterlinie steigt nach hinten an. Versenkbare Türgriffe sowie Schweller in Trittbrettform geben dem EV6 ein besonders Styling.
Doch das ist mein Favorit: Der neue Kia Sportage Plug-in-Hybrid, das Topmodell der Baureihe und Weltbestseller der Marke. Sein Verbrenner, ein 1,6-Liter-Benziner, leistet 132 kW/180 PS. Der 67 kW/91 PS starke Elektromotor trägt zur Systemleistung von üppigen 195 kW/265 PS bei. Der Akku hat eine Speicherkapazität von 13,8 kWh. Nachladen lässt er sich an 11- bis 22-kW-Säulen. Über Nacht an der heimischen Wallbox geladen, ist das Fahrzeug frühmorgens – zumindest im Sommer – fit für 50 bis 60 Kilometer, die rein elektrisch zurückgelegt werden können. Das reicht zumeist für den Stadtverkehr.
Der Sportage PHEV ist mit einem permanenten Allradantrieb ausgestattet, und zwar mit einem „echten“ AWD, der nicht durch die Installation eines weiteren E-Motors an der Hinterachse generiert wird. Der von Magna Powertrain neu entwickelte Dynamax-Allradantrieb wird von Kia erstmals in diesem Sportage eingesetzt. Er soll zum einen das Fahrverhalten verbessern und die Sicherheit erhöhen, zum anderen Kraftstoffverbrauch und Emissionen senken.
Wenn es auf Reisen geht, kommt natürlich dann der Benziner zum Einsatz. Zwar ist der Gepäckraum etwas kleiner als der der anderen Sportage-Versionen, bietet aber immerhin 540 Liter. Wer mehr Stauraum benötigt, kann 1350 Kilogramm an den Haken nehmen und 100 Kilogramm aufs Dach laden. Dann kann es auch auf große Fahrt gehen, zügig und sicher, sparsam und zuverlässig.
Angesichts der Fülle an Neuheiten, gelungenen Designs und technischen Finessen wundert es nicht, dass Kia 2022 ein weiteres Rekordjahr auf dem deutschen Markt abschließen kann. Rund 76 000 Fahrzeuge – zu denen neben den Genannten auch noch Stonic und Stinger gehören – konnten neu zugelassen werden. Das sind über 15 Prozent mehr als im vergangenen Jahr. Bestseller sind die Ceed-Modelle und der Sportage; den dritten Platz belegt der Niro. 37,5 Prozent der Kia-Neuzulassungen sind Elektrofahrzeuge und Plug-in-Hybride.
Eva-Maria Becker
Fotos: KIA
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